Immer wieder „Völkersterben“ – hausgemacht oder Fremdeinwirkung?

Imker diskutierten im Haus Düsse

Im Haus Düsse (Bad Sassendorf) trafen sich am 11. Oktober 2014 fast einhundert Imkerinnen und Imker aus Nah und Fern, um ein Thema zu diskutieren, das seit vielen Jahren ausschließlich in den Medien zu existieren scheint. Organisiert wurde der Vortrag mit Diskussion von dem Imker Werner Schulte, Geseke-Ehringhausen. Vortragender war der Bochumer Imker Dr. Gerhard Liebig. Als Bienenwissenschaftler hat er drei Jahrzehnte lang den Einfluss der Umwelt auf die Entwicklung von Bienenvölkern untersucht.

Medien dramatisieren Bienensterben

Zu Beginn des Seminars zitierte der Referent aus dem am 26. September 2014 vom SWR ausgestrahstrahlten Dokumentarfilm „Warum sterben die Bienen?“. Der Film beginnt mit der Aussage eines, dass es eine Tatsache sei, dass weltweit die Anzahl der Bienenvölker dramatisch zurückgehe. Diese Behauptung findet sich auch in älteren Dokumentarfilmen (wie „MORE THAN HONEY“, „Tod im Bienenstock“), in Broschüren (wie von Greenpeace „Bye, Bye, Biene?“), in Aufsätzen (wie von der Stiftung Warentest „Wenn das Summen verstummt“) und in Flyern (wie vom BUND „Bienensterben stoppen! Pestizide – Gift für Mensch und Umwelt).

Weltweites Wachstum an Bienenvölkern

Dr. Liebig stellte eine Statistik der FAO vor, auf die jedermann, auch Filmemacher und Journalisten zugreifen können, nach der seit vielen Jahren die Anzahl der Bienenvölker weltweit ansteigt, besonders stark in Asien und dort in China. Von China wird behauptet, so auch DER SPIEGEL in seiner Ausgabe 18/2014, in einigen Obstanbaugebieten müssen die Blüten mit der Hand bestäubt werden, weil es keine Bienen mehr gibt. Wie ist dann zu erklären, so fragt Dr. Liebig, dass die Apfelproduktion in China seit den 1980er Jahren stetig auf das Vierfache angestiegen ist bei relativ konstanter Anbaufläche? Weil die Handbestäubung so gut funktioniert? Oder weil die Völkerdichte in China inzwischen höher liegt als in den USA?

Umstrittenes Zitat von Albert Einstein

Dr. Liebig zitierte auch einen Philosophen, dass durch ständige Wiederholung die Lüge zwar nicht zur Wahrheit, aber zu einer „Tatsache“ wird. Diese Erkenntnis gelte für die gesamte Berichterstattung über Ausmaß, Ursachen und Folgen des „Bienensterbens“. Bezüglich der Folgen des „massenhaften“ „weltweiten“ „Bienensterbens“ war in der Vergangenheit auch sehr häufig ein Zitat von Albert Einstein zu lesen und zu hören, laut dem der Mensch nur noch vier Jahre zu leben habe, wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet. Dieses Zitat ist Quatsch, so Dr. Liebig. Als Beleg verwies er unter anderem darauf, dass der Erdteil Amerika vor seiner Entdeckung honigbienenfrei war, und es dort dennoch eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt gab. Der Film „MORE THAN HONEY“ trägt das Prädikat „besonders wertvoll“ und wird mit dem „Einstein-Zitat“ beworben.

Umstrittener Einsatz von Pestiziden

Die um Natur, Umwelt und Verbraucher besorgten Schützer haben übereinstimmend und häufig wortgleich die Intensive Landwirtschaft als Verursacher des Bienensterbens ausgemacht. Einen begründeten Anlass für diese Sichtweise lieferte das durch die Maisausaat Ende April 2008 ausgelöste Bienensterben im badischen Rheintal, das durch fehlerhaft gebeiztes Saatgut zustande kam und sich nicht wiederholt hat. Dr. Liebig war an der Erforschung der Ursachen und Folgen dieser Katastrophe beteiligt, bei der etwa 12.500 Bienenvölker geschädigt wurden. Kein Volk verstarb. Die geschädigten Völker hatten sich bis Juli 2008 wieder erholt. Mit diesem Vorfall ist die Saatgutbeizung in Verruf geraten und mit ihr die neuartigen Pestizide, insbesondere die Neonicotinoide. In einigen Studien wurde festgestellt, dass diese Insektizide wenn sie in subletalen Dosen an Einzelbienen verfüttert werden, das Orientierungsvermögen schwächen. Die kontaminierten Bienen sammelten angeblich weniger und fänden auch nicht mehr in ihren Stock zurück. Für Dr. Liebig steht zweifelsfrei fest, dass ein solcher Schaden bei sachgerechter Ausbringung von Pestiziden nicht auftritt. Auch würden durch Pestizideinsatz und Monokulturen die Anfälligkeit der Völker für Krankheiten und Parasiten nicht erhöht, wie es immer wieder behauptet wird.

Umstrittene grüne Gentechnik

Im langjährigen Durchschnitt werden in Deutschland jährlich etwa 100 Schadensfälle registriert, bei denen ungefähr 1000 Bienenvölker durch unsachgemäßen Pestizideinsatz geschädigt werden. Selten stirbt ein Volk dabei. Dennoch haben die Umweltverbände erreicht, dass einige Neonicotinoide in der EU vorläufig nicht mehr angewendet werden dürfen. Für viele „Experten“ ein Schritt in die richtige Richtung, für Dr. Liebig ein falscher Schritt. Er ist der Überzeugung, dass ohne Pflanzenschutz die Produktion von gesunden Lebens- und Futtermitteln nicht möglich ist. Die Saatgutbeizung wäre ökologisch verträglicher als das Spritzen. Noch besser wäre die Zucht von Pflanzen die resistent oder tolerant gegenüber Schädlingen und Krankheiten sind. Leider seien die Vorbehalte gegen die Einführung der Grünen Gentechnik, die wesentlich sicherer seien als die klassische Pflanzenzucht, in der Bevölkerung sehr groß. Sie wird besonders vehement von Umwelt- und Naturschützern vertreten.

10 Prozent Bienensterben im Jahr normal

Die Ausführungen von Dr. Liebig wurden auch in den Pausen lebhaft diskutiert. Der Referent hatte keine Pausen. Am Nachmittag ging er auch ausführlich auf das Sterben von Bienenvölkern im Winter ein. Ein Völkerverlust von durchschnittlich 10% wird als normal betrachtet, wobei in jedem Winter die Schwankungsbreite bei den ungefähr hunderttausend Bienenhaltern in Deutschland zwischen 0 und 100% liegt. Auch das ist nichts Besonderes. In vielen langjährigen Feldstudien wurde als Hauptursache die unzureichende Bekämpfung der Varroamilbe ausgemacht. Das wird auch in dem SWR- Film „Warum sterben die Bienen“ erwähnt und vom Filmemacher bezweifelt.

Lebhafte Diskussionen

Das zweifellos fachkundige Publikum im Haus Düsse stellte die Ausführungen von Dr. Liebig zu diesem Thema nicht in Zweifel. Nach dem Seminar demonstrierte er am späten Nachmittag an den im Außenbereich aufgestellten zehn Bienenvölkern der Ruhr-Universität Bochum wie eine zeitgemäße Varroabehandlung zu erfolgen hat. Sie ist in die „Spätsommer- und Herbstpflege“ integriert. Auf das Detail kommt es an. Völker gehen verloren, wenn es nicht gelingt, die besonders empfindlichen Winterbienen im Brutstadium vor übermäßig starkem Varroabefall zu schützen.

Autorin: Hela Mikkin, Dortmund